“Du willst wirklich gehen, nicht wahr? Ja mach das, es ist vielleicht auch besser so.
Du bist eine Frau, die das Unglücklichsein braucht wie die Luft zum Atmen.
Nur damit gibst du dir selbst deine Bedeutungsbehaftung und bewunderst dich jetzt auch noch selbst für deinen Großmut zu gehen, weil ich ohne dich besser dran bin.
Leiden kannst du dich selbst nicht, aber du bewunderst dich. Das ist das einzige,
woran du dich klammern kannst. Du hast furchtbare Angst davor, dass wenn du dich
ändern würdest, du das verlierst, was dich zu etwas Besonderem macht.
Das Unglücklichsein macht dich nicht besser als alle anderen, glaube mir.
Es macht dich nur unglücklich.”
Irgendwo stand geschrieben die Wahrheit macht frei, aber dann stellt sich die Frage wovon sie befreit und überhaupt wofür. Und war seine Wahrheit überhaupt ihre Wirklichkeit?
Als sie aufstand und zur Tür ging, schaute sie ihm noch ein letztes Mal ins Gesicht.
Würde er verstehen? Sie versuchte es in seinen Augen zu erkennen. Aber auch diesmal blieb er ohne Regung. So wie es so oft in der ganzen Zeit war, wo die Ratio die Oberhand gewann.
“Du irrst dich, ich bewundere mich nicht. Stolz trifft es eher. Ich bin mir selbst noch nicht einmal wichtig. Meine Bedeutung habe ich nur gesucht. Und was man nicht hat kann man nicht verlieren. Ich hätte mir nur einmal gewünscht wichtig zu sein. Nur einmal das gefühl zu haben, vermisst zu werden um zu sagen, ich bin doch da. Aber weißt du was mein größter Wunsch immer gewesen ist? Dass jemand spürt wie es in mir ausschaut. Nur ganz kurz und dann etwas sagt oder auch nichts und einfach nur da ist.
Hast du das schon mal gemacht, mitten in der Nacht einfach aufgestanden und zu jemandem gefahren, nur weil du gespürt hast, dass es ihm dreckig geht? Einfach nur so, weil es dir wichtig war? ”
Sie hatte ihm viel aufgehalst, viel abgeladen von dem Morast, der ihre Mauern umspülte. Vielleicht wusste sie selbst nicht wohin mit dem ganzen Schweren, in dem Raum wo die Schwerelosigkeit sich im Nichts aufgelöst hatte.
Kein anderer als er sprach ihre Sprache. Und sie hatte keine Ecke eines jeden Zimmers ausgelassen um den Müll abzuladen, der schwer wog mit der Zeit.
Sie hatte ihm die Schlinge hingehalten, die sich langsam um ihren Hals schloss, damit er sie lösen konnte, nur dass sie zu Atem kam.
Wie oft hatte sie seine Nerven im Unverständnis zerrissen, wenn sie nicht schlafen konnte und vor seiner Tür stand, und er sie in den Arm nahm um sie zu halten. Und immer wieder ihre Sucht nach Trost, wenn die Melancholie sie packte , theatralisch sich selbst ergebend und von der Suggestion in den heillosen Wahn getrieben.
So viele Knoten hatte sie ihm in die Finger gegeben, weil ihre schon wund waren und sie
keine n Sinn darin sah das Wirrwarr zu lösen.
Und sie schwamm in seinem Fahrwasser mit, weil er die Wogen glättete und sie Angst hatte vor dem nächsten Sturm, der unweigerlich kam, weil der Orkan selbst in ihr tobte.
Ihren Wahn verstand er und ihre Rastlosigkeit, die sie vorantrieb und ihr den Atem nahm und zuweilen die Kraft.
Aber er sah auch sich selbst und das was er wollte, nicht immer im Einklang mit ihrem Sein stehend.
Sein Streben galt der Unabhängigkeit von jeglichem Gefühl und damit die eigene Neutralität suchend, bei der Frau, die ihm nur das alleine geben konnte, welche sie nicht war.
Auch wenn er sie nicht immer verstand, schwieg er oft oder es fehlten ihm die Worte. Dann rückte er sie ein Stück von sich ab und stand außen vor mit der Distanz, die er brauchte um zu leben, so wie er es wollte, und welches sein Leben war in dem sie nie einen Platz fand.
Er konnte ihre Schlinge nicht lösen, dafür war er nicht da. Denn das Drehbuch war unveränderbar und der Henker stand schon unbestechbar bereit. Jedes Gnadengesuch war bereits abgelehnt und die Kaution unbezahlbar.
Sie wäre gerne geblieben, dort wo er stand. Aber genau dort loderte die Glut, die sie auffraß. Und er konnte ihr nicht die Schmerzen nehmen, dafür war er erst recht nicht da.
Durch ihn hatte sich lediglich ihre Zeit verlängert, und den Sand in der Uhr konnte man nicht aufhalten, welch ein Trugschluss.
Erinnerungen konnte man nicht verkaufen, sie hatte ihm schon so übermenschliches abverlangt, und er hatte ihr gegeben was sie verdiente.
Sie sah in sein Gesicht bevor sie ging. Sie hätte gerne ein Sehnen darin erkannt oder zumindest ein Gefühl.
Aber er konnte nichts ungeschehen machen, sie nur mit der Wahrheit verschonen.
Und die Wahrheit kannte er nicht, so entging sie seinem Fluch.
Das war der gerechte Preis den sie zahlte.
Er würde ihr fehlen, denn er war der Einzige vor dem sie jemals splitternackt gestanden hatte, dem sie gestattete in ihr Ich zu schauen um ihm zu offenbaren, wer sie war.
Nur er berührte sie auf jede Distanz und fing sie auf wenn sie fiel.
Deswegen hätte sie ihm gerne etwas gegeben, für all das was er war.
Nur ein wenig von der Wahrheit, die sie nun kannte und in sich einbrannte.
Und es würde sie weiter begleiten zum Trost für alle Zeit danach.
Gerne hätte sie ihm wenigsten im Gehen einmal über die Haut gestrichen und Danke gesagt, und ihm gezeigt wie wichtig er war all die Zeit.
Vielleicht wusste er es, und es war nur nicht wichtig.
Und damit ging sie und nahm alles mit. Auch das Geheimnis, das sie verband.
Guten Morgen, meine liebe Freundin.
Ich weiß noch, einmal, ER hatte Geburtstag….
–
Es war mitten in der Woche, ein Tag wie jeder andere. Geburtstage mochte er nicht. Angeblich. Oder wahrscheinlich. Sie hatte es nie herausbekommen. Vor einiger Zeit hatte sie jedoch den Schlüssel zu seiner Wohnung erhalten. Vielleicht war es ein Liebesbeweis, vielleicht jedoch auch nur Bequemlichkeit. So musste er sich zeitlich nicht mehr exakt darauf einrichten, wann sie genau am Wochenende anreiste.
Die 250 km waren an diesem bewussten GeburtsTag uninteressant. Sie wusste, dass er lange im Büro sein, sie von dort aus wie immer anrufen und sich dann auf den Heimweg machen würde. Alles war genauestens geplant. Die Tochter eingeweiht. Als das Telefon läutete, richtete sie pflichtbewusst aus, dass die Mutter noch dringend zu einem Gespräch musste, er solle nicht verärgert sein, sie würde sich später nochmal melden.
In der Zwischenzeit war die Frau in B. angekommen, hatte die Wohnung betreten, diese mit bunten Hinweisschildern, auf denen Geburtstagsgüße standen, versehen und Richtungspfeile angebracht, in jenes Zimmer, in dem sie auf ihn wartete.
Wie aufregend, als sich der Schlüssel im Schloss drehte! Er bereits an der Tür stutzte, da dort das erste Schild angebracht war, vor sich hin murmelte, langsamen Schrittes seine 100 qm Wohnung durchquerte… und schließlich SIE an seinem Geburtstag vorfand…
–
Meinst Du das, liebe Freundin, mit Bedeutung?
🙂
Guten Morgen meine liebe Freundin,
oh ja, genau das meine ich.
Muss es nicht ein wunderbares Gefühl sein, festzustellen, dass man für jemanden so wichtig ist, dass sich dieser Jemand selbst für einen kurzen Moment in seiner eigenen Wichtigkeit hinten anstellt?
Dieses Geschenk hätte auch von mir sein können.
;-))
… und das Wichtigste daran ist, dass dieser „Jemand“ so viel Freude und Vergnügen daran hat, sich so daran begeistern kann… und somit auch wieder beschenkt wird.
(Klingt total schwülstig, aber genauso hatte Sie es damals empfunden. Und das ist wohl auch einer der negativen Punkte beim Alleinsein. Der Verzicht auf dieses Gefühl.)
–
Meine Worte liebste Freundin, meine Worte!
Nein nein, es klingt nicht schwülstig.
Es ist so wie es ist.
Gerade diese Freiwilligkeit, mit der man etwas aus dem eigenen Empfinden heraus macht, trägt den Lohn in sich selbst.
Was nutzt einem die ganze Sachlichkeit und Ratio, wenn dadurch genau dieses Gefühl abhanden kommt?
Und was ist letztendlich die Konsequenz daraus?
*stummeswortlosesbeipflichten*
da ist sie ja endlich wieder diese typische arsfendischreibe.
dann ist der umzug ja endlich überstanden.
ich habe dich auf bookRix gelesen und da schon dieses gefühlvolle bewundert, das in deinen texten mitschwingt.
aber auch das cover von „leaving“ ist sehr gelungen.
weiter so.ich werde bestimmt nicht müde dich zu lesen.