Glück ist manchmal nur eine sanfte Berührung und wird einem erst dann bewusst, wenn es schon gar nicht mehr da ist.
Gut ist dann, wenn man sich auch im Nachhinein noch erfreuen kann, es gespürt zu haben und es nichts dabei zu bereuen gibt.
Oder aber es überfällt einen unvorbereitet mit einer derartigen Wucht, dass es den Wortreichsten faszinierenderweise erst einmal sprachlos macht.
Zu einigen Punkten in der Vergangenheit gingen ihre Gedanken immer wieder gerne zurück, zu anderen weniger.
Aber auch da gab es immer die Wahl zwischen Abspeichern oder Löschen, letzteres, indem man weitergeht ohne sich umzublicken und damit die Vergangenheit als solche zurücklässt.
Manchmal war es schade, wenn etwas einfach so zwischen den Fingern wegrann und man so wenig Einfluss darauf hatte, es halten zu können. Aber es gab auch Menschen, an deren Namen sie sich lieber nicht mehr erinnern wollte, weil sie Wut und Zorn damit verband, und sie es vorzog sich dadurch nicht noch eine zusätzliche Last aufzubürden.
Wie so oft in der letzten Zeit, fiel ihr momentan das Einschlafen mehr als schwer.
Unruhe, die sich im Inneren aufbaute, versuchte stets einen Weg nach außen zu finden und verlangte nach etwas Greifbarem und Sinnbehaftetem.
Nur an ihren bleiern schweren Lidern spürte sie die Müdigkeit als Konsequenz aus durchwachten Stunden und dennoch wollte sie wach die Straßen abgehen, auf denen sie Nacht für Nacht, mal schneller mal im Schritttempo, fuhr.
Es waren zum Teil endlose Straßen. Straßen auf denen sie sich selbst zur Protagonistin ihrer eigenen Gedanken machte, um von außen die Fäden zu ziehen und die Schritte zu lenken
Manchmal saß sie selbst hinterm Steuer und konnte so zumindest das Tempo mitbestimmen in der Hoffnung das vorbestimmte Ziel auf der angesagten Fahrtroute zu finden.
Am liebsten fuhr sie auf diesen breiten dreispurigen Autobahnen, ohne Tempolimit, mal im rasanten Tempo auf der linken oder langsamer auf der rechten Spur, aber immer den entgegenkommenden Fahrtwind im Gesicht spürend.
Es waren die besten Fahrten, dann wenn sie kein Drängeln im Rückspiegel sah und von vorne keine Bremslichter ihre Fahrt stoppten.
Hier konnte sie spüren, was Castaneda von der Freiheit verstand, als er schrieb:
“Freiheit ist ein Abenteuer ohne Ende, bei dem wir unser Leben – und noch viel mehr – riskieren, für kurze Augenblicke von etwas, das alle Worte, Gedanken und Gefühle übersteigt. Nach Freiheit zu streben, das ist die einzige Triebkraft, die ich kenne. Freiheit, in die Unendlichkeit dort draußen davonzufliegen; Freiheit, sich aufzulösen und abzuheben; wie eine Kerzenflamme zu sein, die, obwohl sie dem Licht von Millionen Sternen gegenübersteht, doch intakt bleibt, weil sie niemals beansprucht, mehr zu sein als sie ist: eine Kerze.”
Diese Straßen erschienen zuweilen kurvenreich in ihrer Endlosigkeit und dennoch gab es immer wieder ein Ziel, was es galt zu erreichen, nicht immer selbst vorgegeben aber dennoch bewusst angestrebt im Visier, mit fremdangelegten Grenzen, die wie rotumrandete Verkehrsschilder ihre Fahrtroute umzäunten.
Ungern fuhr sie Straßen inmitten vom Berufsverkehr, oder auf engen Wegen oder gar Einbahnstraßen, die am Ende zur Sackgasse ausliefen.
Zu stark wurden dort die Einflüsse von außen, die ihr manches Mal sogar das Lenken schwer machten oder ganz das Steuer aus der Hand rissen.
Auch wenn sie sich gerne durch manche Straße vertrauensvoll führen ließ, gab es da so etwas wie eine Angst, sich selbst im Straßenwirrwarr zu verlieren oder alleingelassen keinen Ausweg aus einer Sackgasse zu finden.
Irgendwann auf einer dieser Straße saß er neben ihr. Den Blick stets geradeaus gerichtet, mit den markanten Gesichtszügen, die für sie stets Zeugen von Klugheit und Lebenserfahrung waren.
Ihm überließ sie das Steuer an seiner Seite fühlte sie sich sicher.
Nur sie allein wusste, warum seine Anwesenheit so unterschiedliche Gefühlsregungen in ihr auslöste. Da waren diese Glücksmomente, kostbar jeder einzelne, aber dann auch mit all dem Wissen die Tristesse in aller Tiefe um von dort keine verräterischen Spuren nach außen dringen zu lassen.
Sie hatten beide verschiedene Wege genommen, die sie im unterschiedlichen Tempo befuhren und dennoch jetzt hier nebeneinander zu sitzen um den Fahrtwind zu genießen.
Es war eine breite offene Straße auf der er die Richtung bestimmt und sie bereit war zu folgen ohne Fragen zu stellen.
Auch wenn die Fahrt in unbekanntes Terrain ging, weil sie beide nicht wussten wo sie endete, ließen sie sich beide darauf ein.
Nur hin und wieder überkam sie das Gefühl, dass egal welche Fahrbahn sie auch wählte, die Spur nicht ausreichte und die Leitplanke bei schneller Fahrt immer näher kam.
Saß er eigentlich wirklich neben ihr?
Manchmal war die Distanz zwischen beiden Sitzen so groß, dass die ausgestreckte Hand ins Leere griff, dann wieder umfassten sie beide das Lenkrad um Vollgas zu geben, die Bremse nicht im Visier.
Verrückt war es, wenn der Wagen ohne Tempolimit fast schon abhob. Das waren dann die Momente, wo sie wusste, dass es davon nichts zu bereuen gab und sie alles mitnehmen wollte, auch wenn irgendwann die Vollbremsung erfolgte.
Deswegen auch beobachtete sie ihn während dieser Fahrten um sich heimlich jeden Millimeter seiner Gesichtszüge einzuprägen, damit nichts im Danach in Vergessenheit geriet.
Ohne jegliche Sentimentalität, dafür mit einem guten Gefühl bei allem, was diese Fahrt brachte.
Weit entfernt ging bereits die Sonne auf.
Stimmungsmäßig unterstrich sie die Frage, nach dem, was Verlieren eigentlich immer so romantisch macht und den Verlust so endlos schal.
Aber auch das spielte keine Rolle.