Lieber bekannter Unbekannter,
Du siehst, ich hänge immer noch an diesem Ritual.
Dir zu schreiben, dabei die Gedanken
rückwärts zu lenken, war immer wieder etwas Besonderes für mich.
Ich habe immer wieder festgestellt, dass ich durch meine Briefe an Dich, oftmals meinen Blickwinkel im Nachhinein ändern konnte, indem ich mich selbst anders aufgestellt, von außen nach innen betrachtet habe.
Heute habe ich mich an Deine letzten Worte an mich erinnert. Du sagtest damals zu mir schon halb im Gehen, dass der Tag kommen wird, wo ich Dich nicht mehr brauche. Wo ich ganz alleine meinen selbstbestimmten Weg gehen werde, ohne mich umzublicken, ohne Hilfestellung und ohne jegliche Stütze, geschweige denn Kraftverstärker.
Deine Augen haben vor Lachen geblitzt, als Du dabei meinen ungläubigen Blick erhascht hast.
Ich war aber einfach nur traurig, weil ich genau wusste, dass es unseren Abschied bedeutete.
Da war so viel Angst im ersten Moment in mir und ich war wütend, weil ich von diesen ewigen Good Byes einfach nur noch müde war.
Es dauerte eine ganze Weile, bis ich merkte, dass es dieses Band zwischen uns gab, was Dich als Schatten neben mir gehen ließ.
Jetzt begleitest Du mich schon so lange, mal direkt ganz nah neben mir, dass ich fast schon Deinen Atem spüren kann, dann wieder aus der Distanz, die einzig mir wenigstens ein Fühlen möglich macht.
Aber egal wie, immer hast Du etwas bewirkt. Denn selbst in meiner Renitenz bin ich mittlerweile sanfter geworden und mein Sturkopf lässt hin und wieder auch schon mal eine Wand aus.
Erst durch Dich habe ich gelernt, meinen Nonkonformismus ganz offen nach außen zu tragen, da wo er mich selbst sonst eher in die Flucht getrieben hatte.
Du hast mich gelehrt, dass es durchaus im Rahmen des Möglichen liegt, den Anspruch an mich selbst noch zu erhöhen, und damit neue Ziele zu beschreiben, die es gilt zu erreichen.
Mittlerweile lote ich immer wieder meine Grenzen neu aus und entdecke den Zauber der Leichtigkeit, der auch darin liegt.
Dabei habe ich festgestellt, dass Widerspruch in mir auch den gegen andere ermöglicht.
Zu oft hatte ich es in der Vergangenheit nicht gewagt, um der Auseinandersetzung damit aus dem Weg zu gehen, um heute festzustellen, welche Macht ich aus den Händen gegeben habe, um als Folge der Manipulation zu erliegen.
Im Nachhinein betrachtet, hast Du mich für einen langen, nicht immer leichten Weg gestärkt, den ich dann wissend gehen konnte, dass Du auch auf die Distanz hin mich immer mal ein wenig anstubsen würdest.
Gerade dann, wenn Kopf und Geist sich im Widerspruch nicht einigen konnten, wem die Intuition folgen sollte.
Heute weiß ich, dass es ab und zu auch möglich ist, Grenzen zu überschreiten, um aus Unmöglichem etwas Mögliches zu machen.
Auch wenn es sich vielleicht manchmal nicht gelohnt hat oder ein Kraftakt umsonst war.
Gelohnt hat sich alles, für was auch immer.
Und wenn die Welt eben mal nicht in warmen Farben getaucht war, habe ich selbst Hand angelegt und sie bunt angemalt.
Es wird gerade Herbst und hin und wieder ist mir so, als wäre der Mond eiskalt und die Sterne wärmen den Himmel auch nicht so wirklich.
Ich bin mal wieder auf der Suche nach meiner eigenen Neutralität, und wünschte gerade, dass es einen Teil von mir gibt, der kein Gefühl hat.
Zumindest manchmal.
Vielleicht fehlt es mir dann doch noch an Akzeptanz von dem, dass es auch Spiele ohne einen Gewinner gibt.
Kannst Du Dich noch an mein Rotes Buch erinnern? Viele Seiten sind bereits mit noch roterer Tinte beschrieben.
Die letzten Wochen war ich beseelt von dem Gedanken, ich müsse noch schneller schreiben, weil ich den Schlusspunkt nicht verpassen will.
Und jetzt wo der Herbst mit so schnellen Schritten Einzug hält, schreibe ich über das, was nicht ist und denke an das, was ich gerne hätte.
Und dann steht dieser Mensch vor mir und streichelt mir sanft übers Gesicht, während er mich traurig bittet, dass uns kein Gefühl verbinden möge.
Ich verspreche es und mache ihm damit ein letztes Geschenk aus Liebe.
Ja, ich weiß, Du wirst jetzt bestimmt lachend den Kopf schütteln, weil mir der Mut fehlte, die Wahrheit zu sagen und ich es vorzog, lieber schweigend meiner Wege zu ziehen.
Hier blieb mir keine andere Wahl.
So aber füllen sich nun die letzten Seiten von ganz alleine. Ich schreibe und schreibe in der Hoffnung mich in meinen Worten wiederzufinden, während ich mich aber immer wieder darin verliere.
Aber auch das spielt keine Rolle.
Es reichte mir bei ihm wenigstens einmal das Gefühl gespürt zu haben, dass die Sonne an uns vorüberzieht, für einen kurzen Moment innehält und die Welt dann einfach so an ihr vorbei untergeht, um einzutauchen in ein leidenschaftliches Schwarz der Nacht.
Und das Glück empfinden zu können, ohne jeglichen Zwang, dafür in der Freiwilligkeit des Gebens, möchte ich nicht missen.
Da gibt es nichts zu bereuen, auch wenn ich gerne wüsste, ob auch er noch manchmal an mich denkt.