Marie war immer schon eine Träumerin.
Ich glaube daraus zog sie ihre Kraft, um auch über Unwegsamkeiten leichtfüßig gehen zu können und den Blick nach vorne nicht zu verlieren.
Sie gehörte nicht zu den Menschen, deren Schritte stockten, weil die Furcht davor in die Irre zu gehen größer war als das Wissen, dass auch Irrwege uns weiterbringen.
Für Marie war es wichtig, aus allem was ihr begegnete die Essenz zu ziehen, um sie zu verinnerlichen.
In ihren Träumen gab es so etwas wie ein Paralleluniversum, wo sie es schaffte, unbehaftet und frei zu atmen und der Horizont einen Grenzwall bildete, der die Angst außen vor ließ.
Und es war ein gutes Gefühl frei atmen zu können, so unbefangen und nicht von den eigenen dunklen Gedanken gefesselt.
Dort träumte sie sich die Welt bunt in Sonnenblumenfarben, die es zuweilen sogar vermochten in die Wirklichkeit rüberzuziehen, weil man festhalten will, das was wichtig ist.
Auch wenn Marie wusste, dass man nichts halten kann, wenn Wege sich gabeln, holte sie sich wenigstens in diesen Träumen die Freiwilligkeit des Bleibens.
Maries Augen waren blau. Blau wie ein Bergsee, auf dem der Nebel alles Dunkle überdeckt.
Sie strahlten immer etwas von Melancholie aus, die einen mitriss und gleichzeitig traurig machte.
Wenn diese Augen einen anschauten, spürte man Fragen darin. Fragen, die sie aber nie stellte, vor allem nicht nach dem Warum.
Vielleicht wusste sie die Antworten manchmal auch schon viel früher, noch bevor sich fragend etwas vor sie erhob.
Ihre Träume holte Marie sich mit ihren gemalten Bildern in die Wirklichkeit.
Marie malte so eindringlich und auf der Leinwand spiegelten sich Geschichten wider.
Geschichten, die mit Worten nicht besser hätten ausgedrückt werden können.
Als ich damals das Bild sah, das sie von mir gemalt hatte, wusste ich, dass sie mich wirklich sah, so wie kein anderer es danach fertig brachte.
Es war ein Bild ohne Maske, das mein Innerstes nach außen kehrte. Es war ein Bild in Orangetönen, die nach außen hin in ein tiefes Rot übergingen und sogar noch von einer inneren Zerrissenheit getragen wurden.
Das Bild wirkte insbesondere durch das Verschwimmen der Konturen, so als würde man versuchen ein flüchtendes Tier mit der Kamera einfangen, was nie zu gelingen vermag..
Lange Zeit hörte ich nichts von ihr. Ich glaube, es war eine Zeit, in der sie sich von allem entfernte, vielleicht weil sie ihren eigenen Weg folgen musste, den ich nicht wirklich verstand.
Irgendwann traf sie ihn. Woher er kam, hatte sie nie erzählt.
Er war von Anfang an ein Fremder, dessen Mauern wohl nur Marie durchdrang.
Ich glaube Claude hieß er und malte genau wie Marie.
Seine Bilder waren von seltsamer Schönheit in wilden Farben mit sehr viel Schwarz, kraftvoll aber wirr auf die Leinwand gebannt.
Alles was er tat erschien irgendwie seltsam, aber Marie verstand ihn, vielleicht weil sie sich die Mühe gab und ihn so annahm, wie er war. Ohne Fragen zu stellen, selbst wenn es noch so in ihrem Innersten brannte.
Wichtig war, dass Marie in der Zeit mit ihm sehr glücklich war.
Sie sprach nie viel darüber.
Nur einmal, als sie anrief, spürte ich, dass die beiden sehr viel verband. Sie war sein Halt und sein Anker hier. Bei ihm war sie stark und er nahm es an, ohne zu hinterfragen und sie zeigte es niemandem, nicht einmal sich selbst
Sie sah so viel in ihm, und gab vor allem Liebe, ohne zu nehmen.
Und sie nahm sich selbst nicht so wichtig. Es gab ihr viel mehr, wenn sie spürte dass sie ihn glücklich machte und er ihr dafür ein Lächeln schenkte oder auch mehr.
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Irgendwann sagte Marie mir mal, dass sie mit ihm die Sterne lachen hören konnte.
Da wusste ich, dass sie glücklich war.
Er wusste oft nicht wohin, und suchte nach einem Sinn, den er in aller Sinnlosigkeit nie fand.
Es war im Sommer, als er ging.
Auch wenn er das einzig Wichtige für Marie war, sie heimlich für sich alleine leise litt, nahm sie sein Gehen als solches an, ohne nach dem Warum zu fragen.
Nur ihre Augen schauten hin und wieder ein wenig traurig und man konnte Fragen darin erkennen, deren Antworten aber niemals wichtig gewesen wären.
Manchmal sah ich, wie ihr Kinn ein wenig zitterte, weil es sie viel Kraft kostete, stark zu sein.
Es war ihr letztes Geschenk an ihn, dass sie ihn mit einem Lächeln gehen ließ.
Erst lange Zeit danach begann Marie wieder zu malen. Die Farben waren viel kräftiger aber auch leuchtender als früher, nur hinzu kam hin und wieder ein Schwarz auf dem man gelbe Sterne lachen sehen konnte.