Perfektion ist, wenn alles besser ist, als man es sich erträumt hat. Das ewige Streben nach Perfektion gehört seit Menschengedenken zu den obersten Prämissen. So scheint es zu sein. Aber ist Perfektion nicht auch vergänglich, passt sie sich an? Oder ist die Perfektion von Heute die Unperfektion von morgen?
Perfekt ist mehr als fertig, perfekt ist vollendet. Perfektionismus ist dagegen abwertend gemeint, als übertriebenes Streben nach Vervollkommnung. Perfektion ist also das Ideal, das man erreichen kann oder auch nicht.
Es kommt darauf an, wie man sich den Anforderungen stellt, wie man Möglichkeiten auf ihren Realitätsgehalt abklopft, wie man die Zeichen der Zeit neu definiert.
Sicher ist nur eines: der Versuch. Das Ergebnis bleibt immer ein wenig ungewiss. Denn: Perfektion ist Risiko und braucht Mut zur Sache. Und wen die Leidenschaft zum Perfekten antreibt, muss achtsam sein, nicht über das Ziel hinaus zu schießen und zum Perfektionisten zu werden.
Das Streben nach Perfektion ist immer eine Reise, und jede Reise – möge sie auch noch so lang sein – beginnt mit einem ersten Schritt.
Doch auch ihn gibt es, den Alptraum der Perfektionisten, einen Alptraum in Form eines Mathematikers mit Namen Kurt Gödel. 1931 erschien ein „Monatsheft für Mathematik und Physik“ mit einem Aufsatz „Über formal unentscheidbare Sätze der Prinzipia Mathematica und verwandter Systeme I“.
Eine Revolution: Kein System, so analysierte Gödel – und sei es noch so auf Vollkommenheit aus – kann jemals vollständig sein, denn zur Vollständigkeit fehlt es ihm einfach immer an Wesentlichem: der Begründung und der Erklärung der ersten Annahmen, der Axiome oder Prinzipien. Und sollte ein System vollständig wirken, so zeigte Gödel, müsse es widersprüchliche Sätze enthalten.
Seine Analysen waren peinlichst genau, mussten die Mathematiker eingestehen. Der Alptraum jedes Perfektionisten war durch Gödels Idee Wirklichkeit geworden: Sein Satz von der „prinzipiellen Unvollständigkeit axiomatischer System“ machte Bemühungen ganzer Mathematikergenerationen zunichte – ein Erdbeben der Theorie, vergleichbar mit jenem von Einsteins Relativitätstheorie oder Max Plancks Quantentheorie in der Physik. Dabei ist, laienhaft ausgedrückt, alles ohnehin schon immer klar gewesen: Vollständiges Wissen, so der Schluss, ist nur von außerhalb möglich oder, wie der Autor Hans Magnus Enzensberger es im Gedicht „Hommage à Gödel“ formuliert:
„In jedem genügend reichhaltigen System
lassen sich Sätze formulieren,
die innerhalb des Systems
weder beweis- noch widerlegbar sind,
es sei denn das System
wäre selber inkonsistent.“
Du kannst deine eigene Sprache
in deiner eigenen Sprache beschreiben:
aber nicht ganz.
Du kannst dein eignes Gehirn
mit deinem eignen Gehirn erforschen:
aber nicht ganz….“
In diesem Sinne strebe ich dann mal weiter nach Perfektion mit dem Wissen, niemals perfekt zu sein.